Ein Porträt von Lorenz Weber
Forschung in großen Höhen
Die höchstgelegenen Büros auf dem Campus des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) befinden sich im Physikhochhaus. Ein Fahrstuhl im Inneren gibt Aufschluss über die Anzahl der Stockwerke: 13. In der obersten Etage ist das Institut für Meteorologie und Klimaforschung Troposphärenforschung (IMKTRO) untergebracht. Den Hemholtz-Teil leitet Peter Knippertz. Sein Büro wirkt von außen unscheinbar, aber beim Betreten offenbart es eine beeindruckende Aussicht. An klaren Tagen reicht der Blick vom Turmberg im Südosten bis zu den Vogesen im Südwesten.
Sein Forschungsgebiet, die Meteorologie, bekommt Knippertz hier hautnah zu spüren. Besonders, wenn der Wind um das Gebäude pfeift und man in der Ferne ein herannahendes Gewitter beobachten kann.
Schon früh, genauer gesagt Anfang der Neunzigerjahre, begriff Knippertz die Ernsthaftigkeit des Klimawandels. Rückblickend stellt er fest:
Wenn ich daran denke, wie wenig wir geschafft haben in diesen dreißig Jahren im Klimaschutz, dann tut das schon ein bisschen weh.
Forschen und dabei etwas von der Welt sehen
Alles begann in Gummersbach, nahe Köln, wo Knippertz geboren wurde. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im nahegelegenen Waldbröl. Nicht verwunderlich ist es, dass Mathe und Physik seine Lieblingsfächer waren. Jedoch wollte er später bei der Studienwahl nichts Abstraktes wie Teilchenphysik studieren. So stieß er auf die Meteorologie. "Wetter, Klima, das ist nah dran an den Leuten", sagt er.
Er promovierte 2003 in Köln zum Thema Niederschlagsvariabilität in Nordwestafrika. Hierbei ging es schon um Fragen des Klimawandels und der Wasserverfügbarkeit. Ein wichtiger Aspekt für ihn persönlich war dabei, rauszukommen und etwas von der Welt zu sehen. So führte es ihn unter anderem nach Marokko.
Dort war es für Knippertz von großer Bedeutung, zum Aufbau eines Netzwerks aus Wetterstationen in der Region beizutragen. Dabei ging es auch hoch auf die 4000er-Gipfel des Atlas-Gebirges. "Ein bisschen Abenteuer war auch dabei", räumt Knippertz ein.
Anschließend war er für zwei Jahre als Postdoc an der University of Wisconsin und arbeitete dort vor allem inspiriert durch seine Doktorarbeit an Wechselwirkungen zwischen tropischen und extratropischen Luftzirkulationen. Das sind großräumige Strömungsmuster in der Luft.
"Es war eine Entdeckung", erinnert sich Knippertz, "dass für Teile Marokkos immer dann Niederschlag fällt, wenn es relativ starken Austausch zwischen den niederen und höheren Breiten gibt." Dies hängt mit der sogenannten Hadley-Zelle zusammen, einem Zirkulationsmuster, das zwischen dem Äquator und dem subtropischen Hochdruckgürtel liegt. Hier steigt die Luft am Äquator auf, fließt Richtung Pol und sinkt in den Subtropen wieder ab. Manchmal wird dieses Muster jedoch "aufgebrochen" und es kommt zu einem verstärkten Luftaustausch mit den höheren Breiten.
Zurück in Deutschland arbeitete Knippertz zunächst in Mainz, wo er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als herausragender Nachwuchsforscher in das Emmy-Noether-Programm aufgenommen wurde. Dies ermöglichte ihm, bereits eine Forschungsgruppe zu leiten. "Es war schon ein bisschen Glück, da rein zu kommen", sagt er rückblickend.
Anschließend bewarb er sich an der University of Leeds, wo er in kurzer Zeit zum Full Professor befördert wurde. 2013 entschied er sich dann, ans KIT zu gehen und bekam dort den Posten als Lehrstuhlinhaber am Campus Süd. 2021 übernahm er ebenfalls den Helmholtz-Teil am Campus Nord.
Aus seinen Aufenthalten in Afrika, darunter zwei Besuche der Summerschool an der Universität in Kumasi, Ghana, nimmt er nicht nur für seine Forschung, sondern auch für sich persönlich vieles mit.
Besonders die Erfahrung des Wetters vor Ort war für ihn ein einprägsames Erlebnis: "Auch mal vor Ort zu sein und das mal aus nächster Nähe zu erfahren, wie sich so ein Gewitter im tropischen Afrika anfühlt und wie der Himmel aussieht." Der Kontakt mit den Menschen zeigte ihm vor allem die Vielseitigkeit des Kontinents auf, die in Europa oft übersehen wird: "Wir sehen Afrika oft als großen Kontinent, wo es überall gleich ist, aber es gibt auch sehr große Unterschiede innerhalb von Afrika", sagt er.
Knippertz legt großen Wert darauf, die Wissenschaft vor Ort zu fördern, um die Kompetenzen der Menschen zu stärken und das vorhandene wissenschaftliche Potenzial besser auszuschöpfen. So pflegt sein Institut weiterhin einen intensiven Austausch: "Wir machen bis heute sehr viel Austausch mit Afrika. Der Ausbildungsteil liegt uns hier sehr am Herzen."
Mit seinen zwei Ämtern als Lehrstuhlinhaber am KIT Campus Süd und Teilinstitutsleiter der Helmholtz-Forschung am Campus Nord gehört Knippertz zu den wenigen Forschenden, die zwei Führungspositionen gleichzeitig innehaben – ein Modell, das mittlerweile wegen möglicher Überbelastung abgeschafft wurde. Knippertz bestätigt: "Das ist schon auch sehr arbeitsintensiv."
Institutsleitung mit Herz
Heute sieht ein typischer Arbeitstag für den Forscher und Institutsleiter so aus: Zur Arbeit fährt er mit dem Fahrrad. Auf das Auto verzichtet er: "Ich habe kein Auto und ich will auch kein Auto." Und setzt, statt zwischen Campus Süd und Nord zu pendeln, auf Remote-Arbeit: "Dieses ständige Hin- und Herfahren kostet zu viel Zeit."
Morgens hält er eine Vorlesung zum Thema "Numerische Wettervorhersagen". Er legt dabei besonderen Wert auf einen abwechslungsreichen Unterricht, in dem er die Studierenden einbezieht: "Dieser interaktive Austausch macht am meisten Spaß." Danach kommen Institutsleitungsaufgaben auf ihn zu: Personal, Finanzen, Räume und rechtliche Themen. Erleichtert ist Knippertz über die Unterstützung der Institutsgeschäftsführerin: "Da bin ich sehr froh, dass diese Person existiert, weil wenn ich das alles selber machen müsste, dann … Boah!"
Der Rest des Tages ist gefüllt mit Treffen mit Doktorand:innen, Postdocs und Forschungskolleg:innen. Zwischendurch widmet er sich seinen E-Mails und liest ziemlich viele Texte: Reports, wissenschaftliche Artikel, Entwürfe für Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten.
Von Stress und Problemen lässt er sich dabei wenig beeinflussen: "Ich schaffe es meistens schon noch, das Positive zu sehen, auch in Situationen, wo mal was nicht so gut läuft."
Das Schönste an seinem Arbeitsalltag ist für Knippertz, wenn er auf neue Erkenntnisse stößt oder jemand eine innovative Idee hat. Manchmal ist es eine Idee von ihm, die von den Dokotrand:innen mit Leben und Kreativität gefüllt wird.
Wettervorhersagen: Die leise Revolution
Meteorologie spielt für viele Menschen eine zentrale Rolle im Alltag. Egal, ob mithilfe von Wetter-Apps oder dem Wetterbericht in Fernsehen, Radio und Zeitung sind wir heutzutage stets über die aktuellen Entwicklungen informiert: "Wir haben uns alle daran gewöhnt, dass es immer und überall Wettervorhersagen gibt", betont Knippertz. Dabei sei den wenigsten bewusst, wie viele Daten erhoben und wie viele Berechnungen einfließen müssten, damit am Ende eine 7-Tages-Vorhersage zustande kommt: "Die Komplexität, das globale Wetter vorherzusagen, ist so hoch wie die Physik des Urknalls", sagt er.
Heutzutage haben probabilistische Vorhersagen, die in Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden, besondere Bedeutung. Also beispielsweise: "Heute besteht eine 10-prozentige Regenwahrscheinlichkeit." Laut Knippertz ist vielen jedoch die Bedeutung dieser Aussage nicht klar. Diese Vorhersage kann sowohl einen trockenen als auch einen feuchten Tag beschreiben. Übersetzt bedeutet sie: Würde man einhundert Tage mit genau diesen Wetterbedingungen aneinanderreihen, würde es nur an zehn zufällig ausgewählten Tagen tatsächlich regnen.
Die Erhebung der Daten erfolgt durch Wetterstationen an Land, auf dem Wasser und in der Luft. Diese Daten bilden die Grundlage für die Berechnungen, die zur Erstellung der Vorhersagen verwendet werden. Mithilfe von Supercomputern wird der gesamte Globus mit einem virtuellen Netz aus Millionen von Zellen überzogen. Für jede dieser Zellen wird sowohl der aktuelle als auch der zukünftige Zustand des Wetters berechnet.
Diese Technologie hat sich dabei im Laufe der vergangenen 60 Jahre bedeutend verbessert, sodass heute 7-Tages-Vorhersagen möglich sind. Diese ermöglichen es, früh vor Unwettern zu warnen und so Menschenleben zu retten. Viele mögen sich noch an den verheerenden Orkan Lothar im Jahre 1999 erinnern, der viele Menschen das Leben kostete. Knippertz ist sich sicher: "So etwas wie Lothar würde heute nicht mehr passieren. Dafür sind unsere Modellsysteme jetzt zu gut."
Wegen dieser großen Bedeutung wünscht sich Knippertz für sein Forschungsgebiet etwas mehr Anerkennung: "Ich würde mir wünschen, dass die Leute diese wissenschaftlich technische Errungenschaft mehr wertschätzen."
Klimaschutz, soweit es geht
Im Alltag spielt der Klimaschutz für Knippertz eine zentrale Rolle. Für seine Familie entwickelte er einen "Fahrplan" auf Grundlage des CO₂-Rechners des Umweltbundesamtes, um verschiedene Bereiche des Haushalts zu optimieren.
Neben Car-Sharing, Fahrrad und Nahverkehr gab es in der Familie bereits auch eine Umstellung der Ernährung: Hin zu mehr pflanzlicher Kost, “soweit es der Widerstand der Kinder zulässt”, sowie lokale und saisonale Lebensmittel.
Außerdem setzt seine Familie auf Second-Hand Möbel und lässt reparieren, was geht, berichtet der dreifache Vater. Schockierend findet er es dabei, wie wenig sich überhaupt reparieren lässt: "Wenn man was reparieren lassen möchte, sagen alle immer sofort 'wegschmeißen, neukaufen'. Da ist glaube ich für die Politik noch ein bisschen was zu schaffen."
Die neueste Investition in Sachen Klimaschutz befindet sich auf dem Dach seines Gartenschuppens. Eine Photovoltaik (PV)-Anlage, welche dafür sorgen soll, dass die Familie zumindest in der warmen Jahreszeit nahezu autark lebt, was die Stromversorgung angeht. Dabei lobt Knippertz besonders den technologischen Fortschritt: "PV-Anlagen sind mittlerweile so klein und so gut und so billig. Die Effizienz der neuen Module ist spektakulär."
Für Knippertz sei es klar das Richtige, in solche Technologien zu investieren: "Das wird sich jetzt bei uns in 20 Jahren amortisieren. Wenn die Gas- und Strompreise massiv hochgehen, dann schon in zehn Jahren. Dann haben wir jetzt heute die richtige Entscheidung getroffen und daran glaube ich auch in gewisser Weise."
Ebenfalls engagiert er sich in der Klimaschutzbewegung "Scientists for Future". Dabei nimmt er an monatlichen Treffen teil, sowie bei Gesprächen mit Politiker:innen und Schulbesuchen. Der Aktivismus ist ihm neben der Forschung sehr wichtig: "Ich habe nicht immer so viel Zeit, ich habe ja auch noch eine Familie zuhause", sagt Knippertz. "Aber soweit es möglich ist, engagiere ich mich dort."
Dabei sei es manchmal frustrierend, dass die Informationen scheinbar erst ernst genommen werden, wenn sie von Wissenschaftler:innen kommen, findet Knippertz: "Manchmal geht man zu solchen Veranstaltungen und denkt – alles was ich hier gesagt habe, könnte jeder so auch im Internet nachlesen, da muss man eigentlich kein Wissenschaftler sein, um das so aussagen zu können."
Für die Zukunft wünscht er sich einen Klimaschutz, der Rücksicht auf alle Teile der Bevölkerung nimmt:
Dieses Projekt wurde im Sommersemester 2024 im Rahmen einer Lehrveranstaltung des Master-Studiengangs Wissenschaft–Medien–Kommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erstellt.
Autor:
Lorenz Weber
Seminarleitung:
Julia Weller
Impressum:
Karlsruher Institut für Technologie
ITZ Department für Wissenschaftskommunikation
Adenauerring 12
76131 Karlsruhe
Deutschland
V.i.S.d.P.:
Prof. Dr. Annette Leßmöllmann